Stellungnahme als .pdf-Datei: Stellungnahme_AKS-Berlin_zum_Positionspapier_SozArb2016
Stellungnahme zum Positionspapier „Soziale Arbeit mit
Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften – Professionelle
Standards und sozialpolitische Basis“
Zu einer kritischen Sozialen Arbeit gehören eine macht- und herrschaftskritische Perspektive sowie radikale Gesellschaftskritik. Damit Soziale Arbeit „ein Instrument der Veränderung“ (Gil 2006: 139) sein kann, sind gemeinsame Positionierungen, Solidarisierungen und Skandalisierungen Sozialarbeitender gegen jegliche Formen von Unterdrückungen, Ungerechtigkeiten, Diskriminierungen, Ausbeutungen und Demütigungen gefordert. Aus diesem Grunde ist es von besonderer Bedeutung, dass es nun ein Positionspapier Sozialarbeitender gibt – war bislang weitestgehend „ein Schweigen Sozialer Arbeit“ (Burzlaff/Eifler 2015) zu vernehmen.
Der Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit Berlin stellt sich ausdrücklich hinter dieses Positionspapier (http://fluechtlingssozialarbeit.de/index.php).
Im Hinblick auf die Geschichte Sozialer Arbeit allerdings stößt der erste Satz des Papiers auf erhebliches Unverständnis: „Seit mehr als einem Jahrhundert arbeiten Sozialarbeiter_innen daran, das Wohlergehen von Menschen zu verbessern, die gesellschaftlich benachteiligt und von gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen sind.“ (Müller et al. 2016) Mit einer solchen Darstellung wird leider vollkommen ausgeblendet, dass Soziale Arbeit im letzten Jahrhundert massiv und aktiv an gesellschaftlicher Benachteiligung von Menschen(gruppen) beteiligt und keineswegs an einer Verbesserung des Wohlergehens aller Menschen (und auch nicht aller Nationalstaatsangehöriger) interessiert war. Diesbezüglich sei exemplarisch verwiesen auf eine bereitwillige Übernahme sowie Durchführung nationalsozialistischer Politiken und Praktiken, sich widerspiegelnd in einer aktiven Beteiligung Sozialer Arbeit an Selektionsprozessen und Vorbereitungen zum Töten; einer Einteilung in Menschen, die Hilfe „verdienen“ und solchen, die von Hilfesystemen ausgeschlossen werden soll(t)en (auch weit vor 1933) (vgl. Kappeler 2000) sowie eine skandalöse Soziale Arbeit in Heimen in den 1950er/1960er Jahren (vgl. Kuhlmann 2010).
Ist es ein Anspruch Sozialer Arbeit, nicht „zu einem raffinierten Werkzeug zur Erhaltung des Status Quo“ (Gil 2006: 139) zu werden, sondern zu konstruktiven gesellschaftlichen Veränderungen beizutragen, bedarf es an Selbstkritik. Und Selbstkritik schließt politisches wie geschichtliches Bewusstsein ein; bedeutet, die Vergangenheit nicht zu verklären und danach zu fragen, was überhaupt schief gelaufen ist. Die dem Positionspapier zu entnehmende Darstellung Sozialer Arbeit jedoch steht dem nicht nur im Wege, sondern verdreht die Geschichte sogar ins Umgekehrte.
Selbstverständlich soll mit diesem Einwand das Positionspapier nicht entwertet werden. Im Gegenteil! Es scheint längst überfällig, dass sich Sozialarbeitende – aufgrund der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen, die strukturelle Gewalt des Staates und die Verantwortungslosigkeiten von Politiker_innen, die massiven Asylrechtsverschärfungen, die täglichen rassistischen Übergriffe sowie die vermeintlich neue Salonfähigkeit rechten Gedankenguts – in politisch-rechtliche Diskurse einmischen und systematisch aufschreien.
Das Verfassen eines Positionspapiers stellt einen wichtigen Beitrag dar, der hoffentlich zu weiteren gemeinsamen Positionierungen, Solidarisierungen und kritischen Interventionen führt.
In diesem Zusammenhang sehen wir es als unverzichtbar, die politischen Forderungen Geflüchteter als Ausgangspunkt zu denken und konsequent in Forderungen einzuschließen, so dass sich Soziale Arbeit einer widerständigen Praxis zuwendet und soziale Kämpfe unterstützt. So stellt sich der Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit Berlin nicht nur hinter das Positionspapier, sondern nimmt dieses auch noch einmal als Anlass, um auf die Proteste und damit verbundenen Forderungen geflüchteter Menschen, mit welchen wir uns solidarisieren, aufmerksam zu machen ¹:
- Bleiberecht für Alle
- Abschiebestopps
- Bewegungsfreiheit
- Abschaffung der Lagerunterbringung und des Sachleistungsprinzips
- Zugang zu Bildung, Arbeit und Wohnen
- Erhalt selbstverwalteter Orte
- Das Recht, Recht zu haben
- Das Recht auf die Einhaltung von Menschenwürde
Literatur:
Burzlaff, Miriam/Eifler, Naemi 2015: Deutsche Asylpolitik, Proteste Geflüchteter und das Schweigen Sozialer Arbeit, in: Forum Gemeindepsychologie (Jg. 20, 2015). Online verfügbar unter: http://www.gemeindepsychologie.de/fg-1-2015_05.html [17.03.16].
Gil, David G. 2006: Gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Konzepte und Strategien für Sozialarbeiter. Bielefeld.
Kappeler, Manfred 2000: Der schreckliche Traum vom vollkommenen Menschen. Rassenhygiene und Eugenik in der Sozialen Arbeit. Marburg.
Kuhlmann, Carola 2010: Erfahrungsrekonstruktionen Erzogener und Erziehender in der Heimerziehung der 50er und 60er Jahre, in: Damberg, Wilhelm/ Frings, Bernhard/ Jähnichen, Traugott/ Kaminsky, Uwe (Hg.) (2010): Mutter Kirche – Vater Staat? Geschichte Praxis und Debatten der konfessionellen Heimerziehung seit 1945. Münster, S. 337-353.
Müller, Annette/Prasad, Nivedita/Riede, Milena/Sauer, Stefanie/Schäuble, Barbara/Jungk, Sabine/Kubisch, Sonja/Scherr, Albert/Scherschel, Karin/Schneider, Armin/Straßburger, Gaby/Völter, Bettina/ Velho, Astride/Wagner, Leonie (2016): Positionspapier: Soziale Arbeit mit Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften – Professionelle Standards und sozialpolitische Basis. Online verfügbar unter: http://fluechtlingssozialarbeit.de/index.php [17.03.16].
¹ „News From Inside“ bezüglich des Refugee Movements sind im Internet unter http://oplatz.net zu finden .